Sektion 14

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Romania queer. Queere Erotik als virtuelle Imagination in den romanischen Literaturen und Kulturen

Haus 5, Seminarraum 132 | Building 5, Room 132

Sektionsleitung und Kontakt:
Uta Felten (Leipzig), E-Mail: uta.felten@googlemail.com
Tanja Schwan (Leipzig), E-Mail: tanja.schwan@uni-leipzig.de
Toni Ricco Sehler (Leipzig), E-Mail: toni.sehler@uni-leipzig.de

Kulturelle Rahmenveranstaltung zur Sektion
Liste der Vortragenden und Vortragstitel
Abstracts
Zeitplan

„Tout se passe dans la tête“ – alles spielt sich im Kopf ab, hat der französische Filme­ma­cher Éric Rohmer einst bemerkt und damit auf die Virtualität eines erotischen Be­geh­rens verwiesen, das sich vorrangig in der Imagination zu realisieren vermag. Jene Virtualität gilt für die oft tabuisierte queere, von heteronormativen Ordnungen abwei­chende Be­gierde in besonderer Weise – können sich doch queere Leidenschaften häufig nur in ver­deckter, camouflierter Form in den Tiefenschichten literarischer und audio­visueller Kunstwerke artikulieren.

Kulturelle und mediale Artefakte aus der Romania eröffnen seit Jahrhunderten solche vir­­tu­ellen Vorstellungsräume, die zu queer-erotischen Imaginationen und Lektüren ein­laden. Queere Heterotopien entstehen beispielsweise zwischen den Zeilen eines Lie­bes­romans, im Gesang eines Soprankastraten in der Oper, durch Sprünge und Leerstellen in der filmischen Narration des Avantgarde-Kinos oder aus den Ambivalenzen der künst­le­rischen Darstellung eines Porträts. Denken wir nur an Prousts berühmte Figur der „Miss Sacripant“ und deren brennendes Spiel der Zeichen, das die Dichotomien von Weib­lich­keit und Männlichkeit in eine Fluidität der Geschlechter überführt.

Leerstellen oder blancs im kulturellen Artefakt erweisen sich als vielversprechende An­schlussflächen, um queere Potenzialitäten auszuloten und Subtexte aufzudecken, die sich nonkonform zu gesellschaftlich sanktionierten Kategorien wie Binarität oder Hetero­normativität verhalten. Das Queer Reading (Kraß 2003; Babka/Hochreiter 2008; Kauer 2019), d.h. das Lesen und Interpretieren von sprachlichen und audiovisuellen Zeichen­systemen gegen den Strich – handelt es sich nun um Literatur, Oper, Theater, Mode, Film oder auch televisuelle Formate – etabliert sich dabei zunehmend als attraktives For­schungs­paradigma.

Ziel der Sektion ist eine queere Lektüre kanonisierter und nicht-kanonisierter Texte und Me­dien der Romania auf Basis der Freilegung von virtuellen Räumen einer subversiven, non-binären Geschlechterordnung. Dabei wird von einer grundsätzlich medialen und performativen Verfasstheit von Geschlecht ausgegangen – ist gender doch per se nur als ‚Vorstellung‘ (im Sinne sowohl von Imagination wie auch Aufführung) präsent. Methodo­lo­gische Zugänge bieten einerseits die habitualisierten Theoreme des Post­struktura­lismus französischer Provenienz (Barthes 1977; Foucault 2008), ande­rer­seits avancierte Positionen der Gender Studies anglo-amerikanischer Prägung (Butler 1990/21999; 1993; im Anschluss an Rich 1980; Wittig 1992). Während der poststruk­tu­ralistische Zugang lite­ra­rische und audiovisuelle Texte im Hinblick auf codierte Botschaften im Subtext befragt, die es zu entschlüsseln gilt, geht es dem gender­wissenschaftlichen Ansatz darum, ge­sellschaftlich etablierte Formen von Geschlecht und Begehren im literarischen und medialen Diskurs zu dezentralisieren und zu de­kon­struieren. Eine Kombination beider Theorieparadigmen stellt gewinnbringende Beschreibungsmuster für nicht-normative, queere Manifestationen des Eros bereit und erweist sich für eine Untersuchung von ästhe­ti­schen Praktiken der Romania als geradezu prädestiniert. Der umbrella-Begriff „queer“ bie­tet eine geeignete kulturtheoretische Plattform zur Analyse von Diskursen der Norm­überschreitung in Bezug auf Geschlecht (gender/sex), Begehren und Sexualität. Im Rekurs auf bereits eingeführte (De Lauretis 1991, 2007; Sedgwick 1985; Jagose 1996) wie auf aktuelle Positionen der Queer Theory (Bernini 2017; Roche 2018) lassen sich sowohl ka­no­nisierte als auch marginalisierte Arte­fakte der romanischen Kulturen untersuchen, die sich quer zu binären Geschlechterordnungen verorten, um die virtuellen Räume einer an­deren Kartographie von Körper, Geschlecht und Begehren abzustecken und imaginär zu durchschreiten.

Die geplante Sektion „Romania queer“ widmet sich Texten und Medien aus den roma­nischen Kulturen, die durch das Erzeugen und Erschließen von virtuellen Heterotopien das Imaginieren queerer Erotik und/oder ein queeres Lesen und Durchqueren der Lite­ra­tur- und Kulturgeschichte ermöglichen. Sie möchte einen Beitrag zu einer neuen, alter­na­tiven Kultur- und Mediengeschichtsschreibung der Romania leisten, die dem kultu­rel­len Wirken von LGBTQI+-Künstler:innen in Vergangenheit, Gegenwart und Zu­kunft grö­ßere Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt und zugleich literarisch-künst­le­rische Ent­würfe nicht-binärer Identitäten auf Text- und Figurenebene in den Blick nimmt. Ziel dieser ka­non­kritischen und -erweiternden Lektüren ist es, Bausteine für eine queere Ge­nealogie der Romania zu liefern und nach den Kontinuitäten und Diskontinuitäten einer virtuellen Epistemologie queerer Geschlechterordnungen, Liebes- und Begehrensformen vom 18. Jahrhundert bis heute zu fragen.

Im Spannungsfeld zwischen Virtualität und queerer Erotik ergeben sich folgende exem­pla­rische Forschungsfragen an Texte und Medien der Romania:

  • Wie und mithilfe welcher Kulturwerkzeuge oder -techniken gelingt es den Texten oder Medien, einen virtuellen Raum jenseits sozial legitimierter Formen von Ero­tik zu eröffnen?
  • Inwieweit kann die queere Potenzialität des Subtextes als Kritik an restriktiven Geschlechter- und Begehrensordnungen der Binarität und Heteronormativität ge­lesen werden?
  • In welchem Verhältnis stehen die Kategorien Geschlecht, Begehren und Sexuali­tät zum Konzept der Potenzialität?
  • Welche Kontinuitäten oder Diskontinuitäten werden in einer queeren Kultur- und Mediengeschichtsschreibung der Romania erkennbar? Mithilfe welcher Tech­niken oder Stilmittel schreibt sich das zu analysierende Artefakt in eine queere Epistemologie ein?
  • Welche Gemeinsamkeiten oder Schnittmengen teilen die Texte und Medien mit anderen non-binären, patriarchatskritischen und/oder nicht-heteronormativen Kultur- und Medienpraktiken der Romania?

Der Schwerpunkt der Sektion liegt auf literarischen und kulturellen Artefakten der fran­ko­phonen, italophonen und hispanophonen Romania. Als Untersuchungsobjekte bie­ten sich sowohl traditionelle als auch moderne Medien an, so z.B. Literatur, Theater, Tanz, Oper bzw. Musik(theater), Film, Photographie, Post-TV oder Mode. Beiträge zur Vir­tua­lität des queeren Eros in der italienischen Barockoper oder zur Latenz queerer Erotik in Literatur, Photographie und Mode bei Honoré de Balzac, Marcel Proust, Claude Cahun, Versace, Jean Paul Gaultier und anderen sind ebenso willkommen wie Studien zu queeren Lebens- und Liebesformen in der hispanophonen Kultur, etwa bei Pedro Almodóvar, Lu­cre­cia Martel oder Albertina Carri.

Vortragssprachen sind Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Eine Veröffent­li­chung der Sektionsbeiträge in einem Sammelband ist geplant. – Ihre Vorschläge für Sek­tions­vorträge richten Sie bitte an Toni Sehler (toni.sehler@uni-leipzig.de), der die E-Mail-Kommunikation im Zusammenhang mit der Sektion übernehmen wird.

Bibliographie

Babka, Anna/Hochreiter, Susanne (Hrsg.). Queer Reading in den Philologien. Modelle und Anwendungen. Göttingen: V&R unipress, 2008.

Barthes, Roland. Fragments d’un discours amoureux. Paris: Seuil, 1977.

Bernini, Lorenzo. Le teorie queer: Un’introduzione. Milano: Mimesis Edizioni, 2017.

Butler, Judith. Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. New York/London: Routledge, 1990, 21999.

Butler, Judith. Bodies That Matter: On the Discursive Limits of „sex“. New York/London: Routledge, 1993.

Day, James T. Queer Sexualities in French and Francophone Literature and Film. Amsterdam: Rodopi, 2007.

De Lauretis, Teresa. „Queer Theory. Lesbian and Gay Sexualities: An Introduction“, in: dies. Queer Theory: Lesbian and Gay Sexualities. Differences 3.2 (1991), iii-xviii.

De Lauretis, Teresa/Molinier, Pascale. Théorie queer et cultures populaires: de Foucault à Cronenberg. Paris: La dispute/Snédit, 2007.

Foucault, Michel. Histoire de la sexualité. 3 volumes. Paris: Gallimard, 2008 [1976-1984].

Jagose, Annamarie. Queer Theory: An Introduction. New York: New York University Press, 1996.

Kauer, Katja. Queer Lesen: Anleitung zu Lektüren jenseits eines normierten Textverständnisses. Tübingen: Narr/Francke/Attempto, 2019.

Kraß, Andreas. Queer Denken: Gegen die Ordnung der Sexualität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003.

Rich, Adrienne. „Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence“, in: Signs 5.4 (1980), 631-660.

Roche, Juno. Queer Sex: A Trans and Non-Binary Guide to Intimacy, Pleasure and Relationships. London: Jessica Kingsley Publishers, 2018.

Sedgwick, Eve Kosofsky. Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire. New York: Columbia University Press, 1985.

Wittig, Monique. The Straight Mind and Other Essays. Boston: Beacon, 1992.

Kulturelle Rahmenveranstaltung zur Sektion

Sonntag, 24. September 2023 | Lesung und Film-Event

Una noche queer / Una notte queer: Transgressive Körperbilder bei Albertina Carri und Pier Paolo Pasolini
Lesung und Moderation: Daniel Link (Buenos Aires), Uta Felten und Jonas Köhler (Leipzig)
Filmvorführung: Las hijas del fuego (2018) von Albertina Carri
Schaubühne Lindenfels, Karl-Heine-Straße 50, 04229 Leipzig
Eintritt: regulär 7 €, ermäßigt 6 €
Beginn: 21 Uhr (Lesung) | 22 Uhr (Film)