Präsenz und Virtualität von Determinierern in der Romania
Haus 1, Raum T1004 (Turm) | Building 1, Room T1004 (tower)
Sektionsleitung und Kontakt:
David Paul Gerards (Mainz), E-Mail: gerardsd@uni-mainz.de
Désirée Kleineberg (Bielefeld), E-Mail: desiree.kleineberg@uni-bielefeld.de
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Abstracts
Zeitplan
Die romanischen Sprachen und Dialekte weisen sowohl untereinander als auch im Vergleich zum Lateinischen im Bereich der Nominaldetermination erhebliche Variation auf. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Präsenz und Absenz von Determinierern, die oftmals nur durch ein komplexes Zusammenspiel semantisch-syntaktischer Faktoren, diachroner, einzelsprachlicher Entwicklungsfaktoren sowie durch Sprachkontakt erklärbar scheinen.
Vor dem Hintergrund, dass die romanischen Sprachen – anders als das Lateinische – gemeinhin als Artikelsprachen gelten, legt die aktuelle Forschung zu romanischen Nominalsystemen besonderes Augenmerk auf sogenannte bare nouns, also determiniererlose Nominale in Argumentposition. Hierbei haben sich, oft mit Bezugnahme auf Chierchias (1998) Nominal Mapping Parameter, vor allem Fragen nach der semantischen Interpretation und syntaktischen Distribution derartiger Nominale herauskristallisiert. So wird beispielsweise diskutiert, in welchen syntaktischen Kontexten bare nouns zwangsläufig property-Lesarten zeitigen und wann (und warum) diese auch existentiell interpretiert werden können (vgl. u.a. Carlson 1980; Espinal 2010; 2013 Espinal/McNally 2007; Dobrovie-Sorin/Beyssade 2012). Im Rahmen der korrelativen Sprachtypologie wird zudem die Verfügbarkeit von bare nouns in den romanischen Varietäten unmittelbar mit (morpho)syntaktischen und semantischen Aspekten in Beziehung gesetzt. Einerseits wird innerhalb romanischer Sprachsysteme das Vorhandensein differenzieller Objektmarkierung mit der gleichzeitigen Verfügbarkeit von bare nouns verbunden (vgl. v.a. Körner 1981), andererseits korrelieren besonders neuere Arbeiten bare nouns im romanischen Sprachsystem mit sigmatischer, univoker nominaler Pluralmarkierung – die wiederum Partitivartikel auszuschließen scheint (vgl. Carlier/Lamiroy 2014; Stark 2016). In diesem Zusammenhang wird schließlich auch die Interaktion von bare nouns und bestimmten lexikalisch-semantischen Merkmalen des Nomens diskutiert. So sind zwar z.B. im Spanischen bare singulars in Argumentposition möglich, diese sind jedoch meist auf Massennomina beschränkt oder werden als solche uminterpretiert (coerced; siehe auch Meisterfeld 1998; vgl. aber Laca 1999). Vor diesem Hintergrund untersuchen neueste Arbeiten auch das Zusammenspiel zwischen dem Grammatikalisierungsgrad der mass-count Unterscheidung und der semantischen Flexibilität von sogenannten object mass nouns (vgl. u.a. Kleineberg im Druck; Mihatsch/Kleineberg in Vorb.).
Variation bzgl. Präsenz und Absenz von Determinierern offenbart sich nicht nur in der Synchronie der romanischen Gegenwartssprachen und -varietäten, sondern auch im Zuge der Erforschung diachroner Fragestellungen. Dies überrascht wenig, insofern als sich ein Artikelsystem erst allmählich im Spätlateinischen entwickelt (Selig 1992) und in den frühen romanischen Sprachstufen (weiter) grammatikalisiert (vgl. z.B. Garachana 2009, Carlier 2020). Zwar sind die entsprechenden Grammatikalisierungspfade auch aus sprachtypologischer Sicht (Greenberg 1978; Mulder/Carlier 2011; Lehmann 32015) gut erforscht, doch legen gerade neuere Arbeiten – zum Beispiel im Bereich der sogenannten schwachen Referentialität – nahe, dass die Grammatikalisierungspfade sowohl von definiten als auch indefiniten Artikeln ggf. noch weiterer Verfeinerung bedürfen (vgl. z.B. Kuguel/Oggiani 2016; Gerards/Stark 2020; Gerards 2020). Ähnliches gilt auch für die Grammatikalisierung von Artikeln mit Possessiva, Anthroponymen oder Toponymen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Untersuchung von Entwicklungspfaden pragmatischer Marker nominalen Ursprungs (z.B. abschwächend sp. tipo), die im Laufe ihrer Entwicklung die Fähigkeit verlieren, von Determinierern begleitet zu werden (vgl. Brems et al. im Ersch.). Gerade im Hinblick auf diachrone, phylogenetische Fragestellungen können auch Arbeiten zur ontogenetischen Herausbildung von Determinierersystemen – und damit die Spracherwerbsforschung – wichtige Einsichten liefern. Dies gilt im Besonderen in Bezug auf begünstigende oder bremsende Erwerbsfaktoren von Determinierern sowie auch hinsichtlich sprachübergreifender typologischer Unterschiede und ihrer Auswirkungen im multilingualen Individuum (vgl. u.a. Bassano 2010; Bassano et al. 2011; Kupisch 2006).
Schließlich bieten auch verschiedenste romanische Kontaktvarietäten und romanischbasierte Kreolsprachen ein fruchtbares Forschungsfeld für die Untersuchung von Nominaldeterminationssystemen. Dies gilt vor allem deshalb, weil in derartigen Varietäten – im Gegensatz zu den romanischen Lexifizierersprachen – determiniererlose Nominale weniger restringiert sind. Beispielhaft seien hier das brasilianische Portugiesisch (Wall 2017), das afro-bolivianische Spanisch (Gutiérrez-Rexach/Sessarego 2011), das Papiamento (Kester/Schmitt 2007), das Haiti- (Aboh/de Graff 2014), Kapverden- (Baptista 2002, 30–35), Réunion- (Albers 2020) oder auch das Guyana-Kreol (Wiesinger 2017; im Ersch.) genannt. Nicht nur ist im Rahmen jener Debatten wiederholt gezeigt (aber mitnichten immer erklärt) worden, dass bare singulars in Argumentposition generisch referieren können, sondern auch, dass solche Nominale zum Teil sogar spezifische Lesarten tolerieren. Inwiefern sich derartige, oft instabile Nominalsysteme auch typologisch und im Sinne von Grammatikalisierungsskalen (s.o.) erklären oder zumindest sinnvoll deuten lassen, ist noch immer eine weitgehend offene Forschungsfrage.
Bei allem Fortschritt, den die Erforschung (romanischer) Nominaldeterminationssysteme in den letzten Jahren gezeitigt hat, beschränkt sich die gegenwärtige Forschungslandschaft häufig noch immer auf nationale romanische Standardvarietäten. Eine der wenigen Ausnahmen bildet das virulente Forschungsinteresse bezüglich der Ausdifferenzierung zwischen dem europäischen und dem brasilianischen Portugiesisch (Kabatek/Wall 2013; Wall 2017; Gonçalves Rospantini 2018). Andere romanische Varietäten und Minderheitensprachen werden im Hinblick auf ihr Nominaldeterminationssystem erst seit Kurzem systematisch untersucht (Stark/Gerards 2020; Pinzin/Poletto 2022; Stark/Davatz 2022; Mattiuzzi 2022). Neben der starken Fokussierung auf die „großen“ romanischen Nationalsprachen ist überdies auch das oftmalige „Aneinandervorbeiforschen“ der formal- bzw. usage based-basierten (romanistischen) Linguistik zu konstatieren. So arbeitet erstere zwar einflussreiche theoretische Modellierungen auf Basis einiger weniger introspektiver Urteile aus, schafft es jedoch oft nicht, diese auch anhand einer breiten Basis authentischer Sprachdaten zu verifizieren. Letztere hingegen stützt sich zwar auf empirische Methoden wie Korpusanalysen oder linguistische Experimente, verweilt jedoch häufig auf einer überwiegend deskriptiven Analyseebene.
Die Sektion will sich der im Vorangegangenen angedeuteten Forschungsdesiderata und dabei vor allem – aber nicht nur – der Achsen Schnittstelle Syntax-Semantik, Diachronie und Spracherwerb sowie Sprachkontakt annehmen. Mögliche Beiträge können dabei die folgenden, keinesfalls als exhaustiv zu verstehenden Aspekte schwerpunktmäßig – und gerne auch in Kombination – behandeln:
- Syntax-Semantik Schnittstelle: nominale Determinationsmöglichkeiten in verschiedenen romanischen Varietäten und ihre semantischen und/oder pragmatischen Funktionen, ggf. diastratische und diaphasische Restriktionen (bspw. Determiniererlosigkeit in Headlines, Anthroponyme mit Determinieren als nähesprachliches Phänomen);
- Diachronie und Spracherwerb: Grammatikalisierung von Determinierern, ggf. auch gestoppte Entwicklungen bzw. Konservierung älterer Sprachzustände bspw. in Phraseologismen, Entwicklung romanischer Nominaldeterminationssysteme aus typologischer Sicht, Nominaldetermination und Spracherwerb;
- Sprachkontakt: Nominaldetermination in romanischen Kontaktvarietäten und -sprachen.
Ziel der Sektion ist neben der empirischen Untersuchung und theoretischen Modellierung der Präsenz und Absenz von Determinierern in der Romania insbesondere auch die Schaffung eines Forums zum unvoreingenommenen, ergebnisoffenen Austausch zwischen formal und funktional arbeitenden Forscher:innen, die – so unser Eindruck – viel mehr voneinander profitieren könnten als dies aktuell geschieht. Die Sektion will somit explizit auch Raum schaffen für eine kritische Auseinandersetzung mit den jeweils eigenen und anderen „Forschungsprogrammen“, um bisher ungenutzte Synergien freizulegen und so einer heterogenen, diversifizierten Forschungslandschaft nicht nur gerecht zu werden, sondern diese in Bezug auf die Ergründung ihrer gemeinsamen Kernfragen zu einen. Wir begrüßen Beiträge zu allen romanischen Varietäten.
Bibliographie
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