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Essayistische Neuerkundungen Lateinamerikas: eine Region im aktuellen Blick von Autorinnen
39. Romanistiktag Universität Konstanz | 22.–25. September 2025
Sektionsleitung und Kontakt
Verena Richter (Universität Graz)
Félix Terrones (Universität Bern)
Seit der Konstitution der lateinamerikanischen Staaten im 19. Jahrhundert ist die Gattung des Essays, so José Miguel Oviedo in Breve historia del ensayo hispanoamericano (1991), eng mit der Ausdeutung und Hinterfragung nationaler wie auch lokaler und regionaler Identitäten verknüpft. Wie Mary Louise Pratt jedoch hervorhebt, handelt es sich hierbei um eine Perspektive, die die Stimmen von Autorinnen unberücksichtigt lässt. So weist die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin in ihrem wegweisenden Artikel „‚No me interrumpas’: las mujeres y el ensayo latinoamericano“ (2000) darauf hin, dass die Literaturgeschichte den Essay konstruiert als „uno de esos monólogos masculinos que desalientan o francamente prohíben que las mujeres ‚interrumpan’” (73). Unter dem Deckmantel der ‚indagación identitaria‘ konstituiere sich das literarische Feld in Lateinamerika demnach auf der Basis einer fundamentalen Exklusion (74-75), deren Mechanismen des Aussparens, Schweigens und Verschweigens bis in die unmittelbare Gegenwart Bestand haben. In der Tat fällt bei einem Blick in rezentere Publikationen zum Essay, wie Maíz (2010), Weinberg (2013, 2014, 2017), Castilleja/Houvenaghel/Vandebosch (2012) oder Dhondt/Vandebosch (2016, 2017), das eklatante Ungleichgewicht zwischen Essayistinnen und Essayisten weiterhin ins Auge. Obgleich sich die genannten Studien ausgehend von einer sehr breiten Perspektive mit den aktuellen Tendenzen des latein- und vor allem hispanoamerikanischen Essays befassen, wird Essayistinnen hier, wie in älteren, im Aufsatz von Pratt genannten Sammelbänden und Anthologien, weiterhin vergleichsweise wenig Raum zugestanden. Dies ist insofern problematisch, als auf diese Weise ein Missverhältnis perpetuiert wird, das mit Blick auf das 20. und 21. Jahrhundert angesichts der starken Präsenz von Schriftstellerinnen im literarischen Feld zweifelsohne zu hinterfragen ist.
Vor diesem Hintergrund drängt sich eine Reflexion über die von Autorinnen verfasste Essayproduktion geradezu auf, um diesen ‚männlichen Dialog‘ aufzubrechen und zu revidieren. Aufgrund ihrer Vielfältigkeit soll uns hierfür die Essayproduktion des 21. Jahrhunderts als Ausgangspunkt dienen. Denn während Essayisten sich auf die (De-)Konstruktion lokaler, nationaler und regionaler/lateinamerikanischer Identitäten konzentrieren (vgl. Terrones/Pélage 2023), sind die Texte von Essayistinnen thematisch grundlegend anders gelagert. Im Gegensatz zu ihren männlichen Zeitgenossen setzen sie sich verstärkt mit Fragen der Legitimation und Anerkennung in sozialen Räumen und literarischen Feldern auseinander, die als undurchlässig und exklusiv wahrgenommen werden. Der Essay kann damit als Mittel der Anfechtung patriarchaler Gesellschaftsnormen wie auch der Verhandlung genderspezifischer Themen, wie sexualisierter Gewalt oder Mutterschaft, dienen. Genannt werden können in dieser Hinsicht u.a. Patricia de Souzas Eva no tiene paraíso (2011), Rita Laura Segatos La guerra contra las mujeres (2016), Jazmina Barreras Linea nigra (2019), Laura Sofía Riveros Dios tiene tripas (2021) oder auch Olivia Terobas Un lugar seguro (2021). Zugleich stellt die Problematisierung von Sprache und die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten eine weitere wichtige Konstante dar, wie in De Souzas Descolonizar el lenguaje (2016), Clara Obligados Una casa lejos de casa (2020) oder Yásnaya Aguilar Gils Ää: manifiestos sobre la diversidad lingüística (2020). Mit der Reflexion über das ‚Wohnen‘ in einer Sprache, wie bei Obligado, ist freilich zugleich die Reflexion über Identität verbunden, der sich Essayistinnen jedoch auf andere Weise als ihre männlichen Kollegen nähern, wie etwa Josefina Ludmer in Aquí, América Latina: una especulación (2010) oder Lina Meruane in Volverse Palestina (2016). Nicht zu vergessen ist zudem – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – die Befragung des eigenen Schreibens im Horizont ökokritischer Ansätze wie in Obligados Todo lo que crece (2021) oder Carola Saavedras O mundo desdobrável (2021). Ist damit ein Fokus auf den hispanoamerikanischen Essay gesetzt, so möchten wir diesen doch, wie mit Saavedra angedeutet, durch eine dezidiert lateinamerikanische Perspektive erweitern, als deren festen Bestandteil wir ebenso die brasilianische sowie die französischsprachigen Literaturen der Karibik erachten. Dies erlaubt es, vergleichend ähnliche Problemlagen, aber auch je spezifische Konfigurationen herauszuarbeiten, die den jeweiligen soziohistorischen und soziokulturellen Kontexten wie auch literarischen Filiationen geschuldet sein können. Gedacht werden kann neben Saavedra an Autorinnen wie Ana Kiffer und Aline Valek für Brasilien oder Yanick Lahens und, bei einem Blick auf das 20. Jahrhundert, Maryse Condé für den frankophonen karibischen Raum. Gleichfalls möchten wir die Perspektive öffnen auf andere mediale Manifestationen des Essays, wie den Essayfilm, oder auch seine vielfältigen Formen der Zirkulation, zu denen, wie bei Valek, auch der digitale Raum gehört.
Übergreifendes Ziel der Sektion ist es, die generischen, sozialen, politischen und kulturellen Rekonfigurationen zu verstehen, die von den Schriftstellerinnen aus dem textuellen Raum des Essays und seinen Projektionen heraus betrieben werden. Als Grundlage soll hierfür auf ein breites Spektrum von Ansätzen an der Schnittstelle von (literaturwissenschaftlicher) Textanalyse, Literatursoziologie und Kulturwissenschaften wie der Gender und Postcolonial Studies zurückgegriffen werden, um die Schreibstrategien der Autorinnen in den Blick zu nehmen und zu fragen, wie hierbei soziopolitische und soziokulturelle Realitäten in ihre Texte verwoben werden. Keinesfalls darf dies jedoch zu einer Reessentialisierung der Kategorien ‚Mann‘ und ‚Frau‘ führen; im Gegenteil ist die performative Verhandlung von Geschlechtsidentitäten von grundlegender Bedeutung für unseren Untersuchungshorizont. Solcherart möchten wir zu einem Dialog einladen, der notwendig ist, um die Praxis dieser Gattung durch Autorinnen in Lateinamerika genauer zu beleuchten und zugleich über die Gründe für das genannte bibliographische Missverhältnis und seiner Persistenz bis in die Gegenwart zu reflektieren. Fluchtpunkt der Sektion wird die Frage sein, welches andere – gewandelte – Bild der Region und ihrer Geschichte sich in den Essays und durch die Essays von Autorinnen abzeichnet.
Die primären Arbeitssprachen der Sektion sind Französisch und Spanisch. Beitragsvorschläge werden entsprechend in einer der beiden Sprachen erbeten.
L’essai du XXIesiècle au féminin: L’Amérique latine (re)pensée par ses écrivaines
La version française sera bientôt disponible.
Escritoras ensayistas del siglo XXI: América Latina (re)imaginada desde el ensayo
La versión española estará disponible en breve.
Bibliographie / Bibliografía
Ainsa, Fernando (1986): Identidad cultural de Iberoamérica en su narrativa. Madrid, Gredos.
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Castilleja, Diana; Eugenia Houvenaghel; Dagmar Vandebosch (Hrsg.) (2012): El ensayo hispánico: cruces de géneros, síntesis de forma, Genf.
Dhondt, Reindert; Dagmar Vandebosch (Hrsg.) (2016): Transnacionalidad y hibridez en el ensayo hispánico. Un género sin orillas, Leiden/Boston.
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