Sektion 1

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Zwischen Konstanz und Wandel: Neue Technologien und ihre metaphorische Erschließung in den romanischen Literaturen des 16. bis 21. Jahrhunderts

39. Romanistiktag Universität Konstanz | 22.–25. September 2025

Sektionsleitung und Kontakt
Jenny Augustin (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
Beatrice Nickel (Universität Stuttgart)

Metaphern als beliebte Form der uneigentlichen Rede stellen einen spezifischen Modus der Weltwahrnehmung und -erschließung dar. Sie dienen in diesem Sinne häufig der Rückführung
von Neuem auf Altbekanntes, Vertrautes und damit der Vergegenwärtigung sowie Veranschaulichung. Je nach theoretischem Zugang zur Metapher – ob sprachanalytisch, strukturalistisch oder hermeneutisch – wird diese unterschiedlich definiert (Haverkamp 1996: 2f.). Dieses Verfahren lässt sich sowohl in der Alltagssprache als auch mit Blick auf die poetische Sprache beobachten. Gerade für die Literatur gilt allerdings, dass die Metaphorizität – seit Aristoteles – als eines ihrer charakteristischen Wesensmerkmale benannt werden kann, diese oftmals sogar mit ihrer Literarizität gleichgesetzt wird (Hetzel 2021: 125). Stellen literarische Texte eine spezifische Form der Weltwahrnehmung dar, so lassen sich die in ihnen enthaltenen Metaphorisierungen zu Recht als eine Form der Weltvergegenwärtigung, –
erschließung und -aneignung beschreiben. Lakoff und Johnson stellen die These auf, dass Menschen ihre Umwelt und „soziale Realität“ (1997: 169) per se metaphorisch wahrnehmen und strukturieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass Metaphern nicht ausschließlich, doch aber häufig gerade dann zum Einsatz kommen, wenn es gilt, bisher Unbekanntes in ein bestehendes Weltbild integrieren zu wollen oder zu müssen. Schon Cicero hat die metaphorische Übertragung als Verwendung eines geläufigen Begriffs in einem ungewohnten Kontext beschrieben. Und dies ist unter anderem immer dann der Fall, wenn Schreibende mit neuen Technologien konfrontiert werden. Die Motivation und Zielsetzung für solche metaphorischen Ersetzung können dabei stark divergieren, wobei sich die Möglichkeiten
irgendwo zwischen den folgenden zwei Polen befinden: Entweder soll der neuen Technologie
durch ihre Metaphorisierung der Schrecken genommen werden, oder aber – ganz im Gegenteil – die Metaphorisierung dient gerade dazu, Furcht im Sinne einer Dämonisierung zu erzeugen. Technologiebegeisterung kollidiert hier mit Technologiefeindlichkeit, eine Bejahung des Wandels mit dem Wunsch nach Konstanz. Dass Metaphorisierungen unbewusste (kollektive) Ängste zugrunde liegen können, zeigt ein Blick in Jacques Lacans Theorie zur Wirkweise der Metapher als Verdrängung eines Signifikanten, der latent wirksam bleibt (Lacan 1966).

Dienen Metaphorisierungen der Erschließung und Aneignung von Neuem, bisher Unbekanntem, in unserem Fall von neuen Technologien, durch die Rückführung auf Altes, Bekanntes so soll dies nicht heißen, dass sie ihrerseits nicht auch neue, unkonventionelle, überraschende Sichtweisen auf die entsprechende Technologie eröffnen können. In diesem Sinne lassen sich Metaphern als eine besondere Form der nicht-rationalen, sondern mittels der Imagination gewonnenen Erkenntnis werten. Paul Ricœur (1986: 150) beispielsweise versteht die Metapher als eine Sinnerweiterung, die eine neue Sicht auf die Wirklichkeit erzeugt. Die metaphorische Welterschließung besitzt so eine dezidiert produktive Seite.

Die geplante Sektion fragt nach der metaphorischen Erschließung neuer Technologien in den romanischen Literaturen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei verfolgt sie eine doppelte Zielsetzung: Gefragt werden soll erstens nach den Feldern, aus denen Metaphern gewählt werden, um neue Technologien zu erfassen und zu beschreiben: Lassen sich hier zeitabhängige Tendenzen erkennen, die man möglicherweise systematisieren kann? Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem in der Metapher enthaltenen comparandum und comparatum, also der Art der Ähnlichkeitsrelation? Worin besteht die funktionelle Leistung solcher Metaphorisierungen? Welche neuen Sichtweisen auf die Technologien eröffnen die gewählten Metaphern?

Zweitens soll eine erweiterte Fragestellung verfolgt werden: Neue Technologien sind nicht nur passiver Gegenstand von Metaphorisierungen, sondern sie verändern auch die Lebenswelt des Menschen und instrumentalisieren das Leben in gewisser Weise. In der Folge können neue Technologien den Menschen und sein Bild von sich selbst verändern, d.h. von Menschen erdachte Technologien wirken auf den homo creator (und die Nutzer:innen) zurück. Insofern wäre es lohnenswert zu fragen, inwiefern die Metaphorisierung neuer Technologien und ihrer Instrumente die kulturelle Funktion erfüllt, diese Instrumentalisierung bewusst zu machen. Einerseits verleiht sie den durch diese Technologien neu sichtbar gemachten Aspekten am Menschen einen bildhaften Ausdruck, andererseits reflektiert sie deren Einfluss. Dies wirkt sich wiederum interdiskursiv auf die gesellschaftlichen Debatten zu neuen
Technologien aus (Link/Link-Heer 1990). Ferner ließe sich erörtern, welche Metapherntheorie sich im jeweiligen Fall am besten eignet, um die Konfrontation mit der neuen Technologie zu beschreiben.

Die Sektion legt bewusst einen weiten Begriff von Technologie zugrunde, der sowohl Innovationen aus den Bereichen Technik und Naturwissenschaften umfasst wie aus weiteren Feldern des menschlichen Handelns (dem kulturellen, medizinischen, sozialen etc.). Beispiele hierfür wären medizinische und psychoanalytische Technologien, Kriegstechnologien, digitale Technologien, aber auch Technologien der Textproduktion.

Erwünschter Gegenstand der literatur- und/oder kulturwissenschaftlich ausgerichteten Sektionsbeiträge sind Beispiele narrativer, dramatischer und lyrischer Gattungen (z.B. bei Rabelais, Voltaire, Mercier, Verne, im Surrealismus, italienischen Futurismus, den lateinamerikanischen Avantgarden (z.B. Girondo) sowie Autor:innen der Gegenwart wie A. Neuman, C. Rivera Garza, P. Alféri). Gerne dürfen auch nicht-fiktionale Texte, wie beispielsweise Wissenschaftsprosa und populärwissenschaftliche Beiträge, in den Blick genommen werden. Neben konkreten Analysen einzelner Texte sind auch theoretische Überlegungen zum Verhältnis von ‚Metapher‘ und ‚Technologie‘ willkommen.

Bibliographie
Blumenberg, Hans (1981): Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Eggs, Ekkehard (2000): „Metapher“. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Bd. 5. Berlin/Boston: De Gruyter. 1099-1183.

Goldmann, Luzia (2019): Phänomen und Begriff der Metapher. Berlin/Boston: De Gruyter.

Grunwald, Armin (2021): Wer bist du, Mensch? Transformationen menschlicher Selbstverständnisse im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Freiburg im Breisgau: Herder.

Hänseler, Marianne (2009): Metaphern unter dem Mikroskop. Die epistemische Rolle von Metaphorik in den Wissenschaften und in Robert Kochs Bakteriologie. Zürich: Chronos.

Hartard, Susanne/Axel Schaffer (Hg.) (2020): Mensch und Technik – Perspektiven einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Marburg: Metropolis.

Haverkamp, Anselm (Hg.) (1996): Theorie der Metapher. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Hetzel, Andreas (2021): „Metapher, Metaphorizität, Figurativität“. Handbuch Literatur & Philosophie. Hg. von Andrea Allerkamp und Sarah Schmidt. Berlin/Boston: De Gruyter. 125-136.

Lacan, Jacques (1966): Écrits I. Paris : Seuil.

Lakoff, George/Mark Johnson (1997): Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.

Link, Jürgen/Ursula Link-Heer (1990): „Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse“. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 20/77. 88-99.

Mikuláš, Roman (Hg.) (2020): Metaphernforschung in interdisziplinären und interdiskursiven Perspektiven. Leiden: Brill.

Morrisson, Mark (2017): Modernism, Science, and Technology. London: Bloomsbury.

Ortony, Andrew (Hg.) (1993): Metaphor and Thought. 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press.

Poser, Hans (2016): Technik als philosophische Herausforderung. Wiesbaden: Springer.

Punter, David (2007): Metaphor. London: Routledge.

Ricœur, Paul (1986): Die lebendige Metapher. München: Fink.

Rid, Thomas (2016): Rise of the machines. A cybernetic history. New York: W. W. Norton & Company.

Rolf, Eckhard (2005): Metaphertheorien. Typologie – Darstellung – Bibliographie. Berlin/New York: De Gruyter.